Reiserad

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Das "Yak" von Claude Marthaler

Das Reiserad ist ein speziell für die Bedürfnisse von Radreisenden konzipiertes Fahrrad, das auch mit viel Gepäck sicher gefahren und gebremst werden kann. Das bloße Anschrauben von Gepäckträgern an ein Fahrrad macht daraus kein Reiserad. Reiseräder haben gegenüber üblichen Fahrrädern eine andere Rahmengeometrie und sind auf die größeren Belastungen durch stabilere Materialien und größere Wanddicken der Rahmenrohre ausgelegt.

Typische Belastungsgrenzen von stabilen Gepäckträgern sind: 40 kg Hinterradgepäckträger, 12 kg Vorderrad-Lowrider, 5 kg Vorderradgepäckträger, 2,5 kg Lenkertasche. Zusammen mit Wasserflaschen am Rahmen lassen sich 60 kg am Rad transportieren, wobei man diese Obergrenze nicht anstreben sollte.

Steht zusätzlich ein Anhänger zur Verfügung, kann schweres Gepäck verstaut werden. Dies wirkt sich günstig auf das Fahrverhalten des Rades aus. Das Gesamtgewicht (Systemgewicht) von Fahrer, Fahrrad, Anhänger und Gepäck sollte aber 150 bis 170 kg nicht wesentlich überschreiten. Es hat sich als günstig erwiesen wenn das Verhältnis von Rad zu Anhängergewicht ein nicht zu großes Ungleichgewicht darstellt.


Klassisches Reiserad

Das klassische Reiserad hat sich langsam aus dem Rennrad entwickelt, hat mit diesem viele Gemeinsamkeiten und ist seit Jahrzehnten beliebt und bewährt. Auf guten Straßen ist dieser Typ neben dem Liegerad sehr gut geeignet. Die Merkmale sind

  • eine aus dem Rennradbereich kommende Rahmenform, verstärkt und mit längerem Hinterbau, sodass ausreichen Platz für Gepäcktaschen ist und der Fahrer nicht mit den Fersen an die Taschen stößt.
  • Rennlenker
  • 28-Zoll-Laufräder (ETRTO-Angabe: 622 mm)
  • Reifenbreiten zwischen 28 und 35 mm
  • Schutzbleche
  • Gepäckträger
  • Drei Kettenblätter (statt zwei wie beim klassischen Rennrad) mit nach unten erweitertem Übersetzungsbereich

Unterschiede zwischen klassischen Reiserädern, Randonneuren und Randonneusen sind gering, die Übergänge sind fließend.

MTB-Bauweise

Mit dem Aufkommen der Mountainbikes gab es auch eine Befruchtung für den Reiseradsektor. Auch machen Neuerungen aus diesem Bereich manche Fahrt auf üblen Pisten erst möglich.

Die Merkmale sind:

  • ein sehr stabiler Rahmen, teilweise mit Federgabelgeometrie oder Vollfederung und ausreichend Platz für breite Reifen, Anbringmöglichkeit und genügend Abstand für Gepäckträger
  • 26-Zoll-Laufräder (ERTRO-Angabe: 559 mm). Kleine Laufräder sind prinzipbedingt stabiler, sodass Speichenbrüche seltener sind. Durch moderne 3D-Speichen ist dieser Vorteil in der Praxis nur extremen Schwerlastbetrieb sowie auf Pisten von Belang. Ein großer Vorteil ist, dass weltweit gesehen 26-Zoll-Laufradteile besser erhältlich sind.
  • breite Reiseradreifen mittlerer Profilierung (meist 40-57 mm breit), die auch auf Pisten ein sicheres Vorwärtskommen ermöglichen
  • Schaltungen und Bremsen aus dem MTB-Bereich
  • Schutzbleche und Gepäckträger

Vertreter dieses Radtyps:

Trekkingradbauweise

Das Trekkingrad, früher auch All-Terrain-Bike (ATB), stellt, wie der Name schon sagt, den Versuch eines Kompromisses für alle Wege dar. Die Merkmale sind

  • Schutzbleche, Lichtanlage und Gepäckträger im Auslieferungszustand
  • 28-Zoll-Laufräder (ETRTO-Angabe: 622 mm)
  • leicht profilierte Reifen in ca. 37 mm Breite
  • gemäßigt sportliche Sitzposition
  • Lenker gerade oder leicht nach hinten gekröpft mit Hörnchen
  • Schaltung aus dem MTB Bereich (oder spezielle Trekkingruppen von Shimano), Ketten-, Nabenschaltung oder eine Mischung aus beiden (z.B. 3*9 oder 2*8)
  • V-Bremsen, Magura HS 33 oder Scheibenbremsen
  • Starrgabel oder Federgabel und häufig auch gefederte Sattelstütze

Liegeradbauweise

Liegeräder sind für Radreisen auf einigermaßen gutem Untergrund ideal, da sie eine sehr entspannte Fahrweise und schmerzfreies Fahren über viele Monate am Stück ermöglichen. Details siehe unter Liegerad.

andere Fahrradtypen

Zunehmend werden auch Pedelecs als Reiseräder verwendet.

Dem Hollandrad und dem aufrechten Dreirad werden dagegen eine geringe Radreisetauglichkeit zugeschrieben.

Anforderungen

An ein Reiserad werden besonders hohe Anforderungen gestellt, die über die einfache Straßenverkehrstauglichkeit hinausgehen.

Rahmen und Gabel

  • geeignet für die Anbringung mehrerer Gepäckträger
  • soll auch schwer beladen ruhig geradeausfahren (langer Radstand, entsprechender Gabelvorlauf)
  • langer, dennoch steifer Hinterbau und ein niedriges Tretlager

Laufräder

  • möglichst steife Felgen: je ausgeprägter ein V-Profil, mindestens jedoch ein Hohlkammerprofil, und je breiter die Felge ist, desto stabiler ist sie
  • außer bei sehr ausgeprägten V-Profil (wo Ösung nicht günstig ist) ist eine einfach, besser doppelte Felgenösung ein Qualitätsmerkmal
  • asymetrisch angeordnete Felgenlöcher erlauben bei Kettenschaltungslaufrädern gleichroße Speichenspannungen und damit ein stabiler aufgebautes Hinterrad. (Nabenschaltungslaufräder sind stets symmetrisch mit gleichen Speichenspannungen)
  • Doppeldickend Speichen, (z.B. 2,0-1,8-2,0) dreifach gekreuzt mit mindestens 36 Loch bei 622mm und mind. 32 Loch bei 559mm, bei sehr hohen Belastungen 4fach gekreuzt mit bis zu 40 Speichen am Hinterrad, evtl. DT-alpine 3D Speichen (2,35-1,8-2,0), evtl. verlötete Speichen
  • gut gedichtete Radlager
  • guter Pannenschutz und gummibewehrte Flanken am Mantel

Sitzposition

Für lange und auch für kurze Touren ist eine bequeme Sitzposition wichtig.

  • Ein Kernledersattel braucht zwar einige Zeit um eingefahren zu werden, kann dann aber sehr angenehm, weil atmungsaktiv, sein. Ein Sattel sollte schmal genug sein, um nicht zu scheuern
  • Lenker mit mehreren Griffposition für häufiges minimales Wechseln der Haltung auf dem Rad um Verspannungen, Rücken- und Schulterschmerzen vorzubeugen. z.B. Rennlenker, MTB-Lenker mit Hörnchen, Schmetterlingslenker

Antrieb

  • Haken- und Klickpedale ermöglichen ein Ziehen am Pedal und durch die Fixierung eine hohe Trittfrequenz. Hakenpedale können mit allen Schuhen gefahren werden, Klickpedale binden dafür fester und schnüren den Fuß dennoch nicht ab
  • Die Entfaltung im kleinsten Gang sollte keinesfalls größer als 2 Meter sein. Das entspricht etwa einer 1:1-Übersetzung bei 622 mm. Je nach Höhenprofil sind kleinste Entfaltungen bis ca. 1,40 m empfehlenswert. Nur so lassen sich auch steile Pässe durch mäßig Trainierte ohne Gelenkschaden bezwingen.

Bremsen

  • Die Bremsen müssen auch auf das zusätzliche Gepäckgewicht ausgelegt sein. V-Bremsen sind heutzutage der Mindeststandard.
  • Rücktritt- und Trommelbremsen können bei Bergabfahrten überhitzen. Die Folgen reichen von einer vorübergehenden, erheblichen Verringerung der Bremswirkung bis zu irreparablen Beschädigungen an den Bremsen.
  • besonders bei kleinen Laufrädern (Liegeräder) können Felgenbremsen bei langen Abfahrten die Felge gefährlich erhitzen, weshalb bei Liegerädern auch Scheibenbremsen zum Einsatz kommen. Siehe Liegerad-Bremsen.

Gepäckträger und Verteilung

  • Je niedriger der Schwerpunkt, desto geringer wird das Fahr- und Bremsverhalten beeinflusst.
  • Die Anordnung sperriger Gepäckstücke hinter dem Radler und gegebenenfalls in Längsrichtung vermindert den Windwiderstand.
  • Die vorderen Packtaschen sollten an einem Lowrider hängen, nicht zu voluminös sein und keinesfalls die schwersten Teile der Ausrüstung enthalten.
  • Im Rahmendreieck kann außer den Trinkflaschen noch eine kleine Tasche angebracht werden.
  • Die Gewichtsverteilung ist bei einem Upright am besten ca. 1/3 vorne und 2/3 hinten.
  • Ein sorgfältiges Austarieren der Gepäcklast zwischen rechts und links wurde früher dringend empfohlen, hat sich aber selbst bei Lowridertaschen als unnötig herausgestellt.
  • Voluminöse Teile gehören an oder auf den hinteren Gepäckträger.

Als Alternative ist ein Anhänger möglich, sofern der Hinterbau dafür ausgelegt ist.

Trinkflaschenhalter

Drei Anbringmöglichkeiten für Trinkflaschenhalter sind Standard bei den meisten Reiserädern. Ein Trinkflaschenhalter kann dabei für eine Treibstoffflasche (Kocher) verwendet werden. Inzwischen sind Trinkflaschenhalter für die weltweit erhältlichen großen Getränkeflaschen vorhanden, die sich auch an verschiedene Flaschenhöhen anpassen lassen. Bei ungünstig angeordneten oder fehlenden Bohrungen, kann man sie auch mit Schlauchschellen befestigen. Hersteller von Spezialhalter für größere Flaschen (z. B. Campa Aero, 1,5l PET, Toppeak, Minauro)

Beleuchtung

Hierzu gibt es zwei Konzepte unter den Reiseradlern.

  • man fährt als Reiseradler erst im Hellen los und kommt im Hellen an und braucht keine Beleuchtung, die wiegt und evtl. Ärger machen kann
  • für den "man muss auf alles gefasst sein", oder "ich will auch in der Dunkelheit fahren"-Typ gilt, Robustheit vor: Nabendynamos und LED-Lampen wären hier als Innovationen der letzten Jahre und Jahrzehnte zu nennen.
  • die Mischform: Batterierücklicht+multifunktionale Stirnlampe als Notfrontlicht soll nicht verschwiegen werden.

Ein Rückspiegel erleichtert souveränes Verhalten im Straßenverkehr und das Fahren in einer Gruppe.

Federung

Federung ist ein heißes Eisen unter Reiseradlern. Es gibt zahlreiche Berichte über defekte Federgabeln auf Reisen, andererseits auch viele positive Erfahrungen. Je nach unterschiedlichen Bewertungen der Nachteile kann der Komfort einer Federgabel oder das -je nach Einschätzung- geringe Ausfallrisiko auf Reise höher wiegen. Wo keine Federung ist, kann keine kaputtgehen.

Komponenten

Da eine Radreise ein Fahrrad stärker als üblich belastet, altern diese auch schneller, weswegen sich qualitativ hochwerte Teile langfristig lohnen können. Auch mit preiswerten Komponenten lassen sich Radreisen durchführen, im Zweifel ein paar weniger als wie mit dem hochwertigen Rad. Oft sind die preiswerten Komponenten nur etwas schwerer, manchmal sind sie sogar haltbarer, z.B. im Bereich des Antriebs.

Individualaufbau

Nicht selten werden Reiseräder als Individualaufbau speziell für den Kunden angefertigt, hierbei wird die Körperbeschaffenheit des Kunden bei der Fertigung des Rahmens berücksichtigt. Spezielle Körpervermessungsprogramme ermöglichen es auch, dass sich Reiseradinteressierte selbst vermessen und so aus der Reihe der Serienreiseräder das passende heraus suchen.

Bein- und Oberkörperlängen bestimmen hier maßgeblich die Geometrie des Rahmens. Persönliche Vorlieben wie Nachlaufeigenschaften können ebenso berücksichtigt werden wie Radstand und spezielle Schaltungen und Bremsen, welche besondere Anlötsockel benötigen (Scheibenbremsen, Rohloff-Nabe etc.).

Maße am Rad

Zur Maßbestimmung des Reiserades können die Methoden der Vermessung der Sitzposition auf einem Rennrad in etwas abgewandelter Form angewandt werden, da dieses auf eine ergonomische, lange Strecken ermöglichende Sitzhaltung ausgelegt ist. Man wird üblicherweise das Oberrohr etwas kürzer, dafür die Sattelüberhöhung kleiner, wählen. Die entsprechenden Regeln gelten natürlich nur für normal gebaute Menschen, wenn man abweichend lange oder kurze Arme oder Beine hat, kann dies nur eine grobe Orientierung darstellen. Frauen haben vergleichsweise längere Beine und fahren deshalb lieber kürzer gebaute Rahmen.

Alternativen

Aus Kostengründen dienen nicht selten andere Fahrradtypen als Grundlage für Reiseräder und werden auf die Bedürfnisse des Reisenden angepasst. Derartige Räder können oft nicht so stark belastet werden wie echte Reiseräder, sind aber meist leichter. Dies sind vor allem Rennräder, Mountainbikes, Trekkingräder und Liegeräder.

Siehe auch